Geschrieben am 15.01.2014 von Kurd Azad
1. Allgemeiner Überblick
1.1
Begriffserklärung
Zum
Bedauern gibt es in der Literatur keine einheitliche Definition von
Sprachförderung. Dennoch wird sie hier erklärt und differenziert.
Sprachförderung
Unter Sprachförderung
versteht Fried (2013) „die positive Beeinflussung der Sprachentwicklung
von Kindern“ (ebd., S. 175).
Sprachförderung
richtet sich „selektiv“ an einer bestimmten Risikogruppe, bei der schon
„sprachliche
Auffälligkeiten“ bekannt sind.
Sie hat das Ziel,
Sprachentwicklungsprobleme kompensatorisch (ausgleichend) bzw. sekundär präventiv
vorzubeugen (Fried, 2013, S. 175; Kammermeyer & Roux, 2013, S. 515).
Sprachbildung
Wenn Sprachförderung
dazu führt, dass sich die „Sprache in all ihren Facetten“ ideal
entfaltet, handelt es sich um Sprachbildung (Fried, 2013, S. 175).
Sprachbildung richtet
sich an die Entwicklung aller Kinder, was auch als „universelle oder primäre Prävention“ benannt wird
(Kammermeyer & Roux, 2013, S. 515).
Sprachtherapie
Haben sich bereits Sprachentwicklungsstörungen
ergeben, die nur durch „sonderpädagogische oder medizinische
Interventionen“ behoben werden können, liegt eine Sprachtherapie vor
(Fried, 2013, S. 175).
1.2
Geschichte:
Sprachförderung bei Fröbel
Sprachförderung
ist in der Pädagogik der frühen Kindheit nicht etwas Neues, sondern gab bereits
vor etwa 200 Jahren bei Fröbel, dem Gründer
des Kindergartens (Kammermeyer & Roux,
2013, S. 516). Fröbel legte einen großen Wert auf die Spiel- und Spracherziehung der Kinder (Fried,
2013, S. 176). Ein schönes Fröbel-Zitat dazu lautet: „Sprache durch Bewegung -
als Verbindung von Körper, Seele und Geist.“ Durch Anschau-Sprechübungen und Spielpflege sollten die Kinder motiviert
werden, alles bei seinem richtigen Namen
zu benennen (Fried, 2013, S. 176). Hierbei sollten sowohl Anschauungsmaterialien (z.B. Gegenständer der Natur, Spielgaben,
Bilderbücher) verwendet werden als auch Spiel-
und Beschäftigungsimpulse (z.B. Mutter- und Koselieder, Finger- und
Kreisspiele) gegeben werden (Fried, 2013, S. 176; Kammermeyer & Roux, 2013, S. 516).
1.3
Relevanz
und Ziele
In
Folge des sogenannten PISA-Schocks von 2001 …
•
schlechte
Leistungsergebnisse der Schüler im Lesen und Schreiben sowie in
Mathematik und Naturwissenschaften
•
hoher Zusammenhang zwischen Schulleistung und sozialer
Herkunft
…
bekam die Sprachförderung eine zentrale Bedeutung (Lisker, 2011, S. 7;
Kammermeyer & Roux, 2013, S. 517). Frühkindliche
Sprachbildung ist die Basis für den späteren Bildungserfolg.
Um
Chancengerechtigkeit zu sichern, wird Sprachförderung daher schon im
Kindergarten eingeführt (Kammermeyer & Roux, 2013, S. 517). Dadurch sollen Unterschiede
in der Sprachkompetenz verschiedener Kinder bis zum Schuleintritt
abgemildert werden.
1.4
Gesetze
und Delfin 4
Die
Sprachförderung ist gesetzlich im Schulgesetz (SchulG) und Kinderbildungsgesetz
(KiBiz) verankert. Im SchulG § 36 Abs. 2
steht: „Das Schulamt stellt zwei Jahre
vor der Einschulung fest, ob die Sprachentwicklung
der Kinder altersgemäß ist und ob
sie die deutsche Sprache hinreichend
beherrschen.“ Sollte dies nicht der Fall sein, wird das Kind verpflichtet, an
einem „vorschulischen Sprachförderkurs“ teilzunehmen.
Das KiBiz § 13 Abs. 6 sagt: "Zur
Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages gehört die kontinuierliche Förderung der Sprachentwicklung des Kindes im Sinne
des § 22 Abs. 3 SGB VIII.“ Sind die deutschen Sprachkenntnisse nicht „altersgemäß“ bzw. in „üblichem Umfang“,
muss das Kind eine „zusätzliche
Sprachförderung“ erhalten.
Aufgrund
des Schulgesetzes (SchulG § 36 Abs. 2) entwickelte Lilian Fried im Jahr 2007
Delfin 4 (Diagnostik, Elternarbeit
und Förderung der Sprachkompetenz in NRW
bei 4-Jährigen). Mit dem 2-stufigen Sprachstandsverfahren soll die
Sprachkompetenz aller Kinder 2 Jahre
vor der Einschulung überprüft werden (Lisker, 2011, S. 36). In der 1. Stufe („Besuch im Zoo“) müssen vier Kinder auf spielerische Weise Kunstwörter und Sätze nachsprechen, Handlungsanweisungen ausführen und zu
verschiedenen Bildern etwas frei erzählen (Bilderzählung).
Falls nach der 1. Stufe kein Urteil über die Sprachkompetenz gefällt werden
kann, werden die Kinder einzeln in
der 2. Stufe („Besuch im
Pfiffikus-Haus“) nochmals getestet (Lisker, 2011, S. 37). Hier müssen sie Kunstwörter und Sätze nachsprechen, zu
verschiedenen Bildern etwas frei erzählen (Bilderzählung),
vorgesprochene Wörter auf Bildern zeigen (Wortverständnis),
gezeigte Wörter auf Bildern benennen (Wortproduktion),
Unterbegriffe den Oberbegriffen zuordnen (Begriffsklassifikation)
sowie reale und sinnlose Wörter in Plural bilden (Pluralbildung).
Im
Delfin 4 werden folgende Sprachbereiche
erfasst: Phonetik-Phonologie, Syntax-Morphologie, Semantik-Lexikon und Pragmatik-Kommunikation
(Lisker, 2011, S. 36).
2. Ausgewählter Schwerpunkt
2.1
Würzburger
Trainingsprogramm (WüT)
Die
praktische Umsetzung der Sprachförderung im Kindergarten soll am Beispiel des Würzburger
Trainingsprogramms (WüT) gezeigt werden. Das Sprachförderprogramm wurde in den 1990er Jahren von Petra Küspert und Wolfgang Schneider für die Förderung der phonologischen Bewusstheit und den Erwerb der
Schriftsprache konzipiert. Das WüT soll über ein ½ Jahr und 10 Minuten pro
Tag bei allen Kindern angewandt werden.
Es setzt sich aus sechs Übungseinheiten
zusammen (Schneider et al., 2013, S. 14 f.):
1.
Lauschspiele: Die Kinder konzentrieren
sich auf die Geräusche in ihrer Umgebung und üben das genaue Zuhören ein.
2.
Reime: Die Kinder lernen die
Lautstruktur der Sprache (den Klang der Wörter) kennen, indem sie mit Reime umgehen
(z.B. Reimwörter finden).
3.
Sätze und Wörter: Die Kinder lernen,
dass Sätze sich in Wörter zerteilen lassen und vergleichen diese Wörter bezüglich
ihrer Länge.
4.
Silben: Die Kinder üben, Wörter
in Silben zu zerlegen (Analyse) und einzelne Silben zu einem Wort
zusammenzufügen (Synthese).
5.
Anlaute: Hier sollen die
Kinder den ersten Laut (Phonem) im Wort identifizieren.
6.
Phoneme: Die Kinder üben,
erst Einzellaute zu einem Wort zusammenzuziehen (Phonemsynthese) und dann Wörter
in einzelne Laute zu zerlegen (Phonemanalyse).
2.2
Wirksamkeit
des WüT
Das
Sprachförderprogramm WüT wurde bereits zigfach
empirisch evaluiert. Die Wirksamkeit wird mit dem Bielefelder Screening (BISC) ermittelt. Schneider et al. (2013) empfehlen das WüT für den Kindergarten (ebd.,
S. 16 & S. 95), weil es neben der phonologischen
Bewusstheit auch den Erwerb der Schriftlichkeit,
insbesondere des fliessenden Lesens und
der Rechtschreibung, positiv
beeinflusst. Kinder mit Deutsch als
Zweitsprache werden ebenfalls mit dem WüT wirksam gefördert. Hingegen nimmt
die Wirksamkeit bei unauffälligeren und älteren
Kindern stark ab (Schneider et al., 2013,
S. 95).
Letztendlich
hängt die Wirksamkeit bzw. der Erfolg des Sprachförderprogramms von der
allgemeinen erzieherischen Haltung und Kontinuität
ab.
Literatur
Kammermeyer, G./Roux,
S. (2013): Sprachbildung und Sprachförderung, in: Stamm, M./Edelmann, D.
(Hrsg.): Handbuch frühkindliche Bildungsforschung (S. 515-528), Wiesbaden.
Fried, L. (2013): Sprachförderung,
in: Fried, L. /Ahnert, L. (Hrsg.): Handbuch Pädagogik der frühen Kindheit (S.
175-181), Berlin.
Lisker, A. (2011):
Additive Maßnahmen zur vorschulischen Sprachförderung in den Bundesländern (S.
7, S. 36-37), in URL: http://www.dji.de/bibs/Expertise_Sprachfoerderung_Lisker_2011.pdf, 02.01.2014.
Schulgesetz - SchulG
(Stand vom 12.12.2013): SchulG § 36 Abs. 2, in URL: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&gld_nr=2&ugl_nr=223&bes_id=7345&aufgehoben=N&menu=1&sg=, 18.12.2013.
Kinderbildungsgesetz
- KiBiz (Stand vom 06.12.2013): KiBiz § 13 Abs. 6, in URL: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&gld_nr=2&ugl_nr=216&bes_id=10994&aufgehoben=N&menu=1&sg=0, 12.12.2013.
Schneider, H. et al.
(2013): Wirksamkeit von Sprachförderung (S. 14-16, S. 95), in URL: http://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/user_upload/Institut_Sprachfoerderung/Expertise_Sprachfoerderung_Web_final.pdf, 26.12.2013.